Mobilitätswende darf nicht zur Antriebswende allein verkommen

Wissenschaftler der TU München und der Universität St. Gallen beklagen, dass die derzeitige Interpretation der Mobilitätswende zu kurz greift:

„Vor allem aber geht die Antriebswende das große Thema Landverbrauch für die Verkehrsinfrastruktur nicht an. Bisher geht um 25 bis 40 Prozent der Fläche einer Stadt für die Verkehrsinfrastruktur drauf. Diese Fläche können wir besser für die Menschen nutzen, wenn wir die Mobilitätswende wirklich vorantreiben würden. Stattdessen verschlechtert sich die Raum-nutzungsbilanz noch, weil die ungebrochene Premiumstrategie zu immer größeren Fahrzeugen führt. Auch die Kernherausforderung einer deutlich verbesserten Nutzung der vorhandenen Fahrzeuge, die bekanntermaßen im Schnitt zu 95 Prozent ungenutzt herumstehen, bleibt ungelöst.

Nur eine bessere Auslastung der Verkehrsträger bringt den großen Fortschritt in Richtung einer Mobilitätswende, die diesen Namen auch verdient. Aktuell gibt es in Europa etwa 280 Millionen Verbrennerfahrzeuge, die meist mehr stehen als fahren. Sie durch 280 Millionen Elek­tromobile zu ersetzen, die dann mit schweren Batterien am Straßenrand stehen, kann nicht Ziel der Transformation sein. Je nachdem wie sich Rohmaterialverbrauch und Fahrzeuggewicht weiterentwickeln, sollten wir für eine nachhaltige Mobilitätswende eher über ein Europa nachdenken, in dem 100 Millionen Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind (die dann tatsächlich fahren, statt hauptsächlich herumzustehen).“

Lesen Sie hier den kompletten Artikel:
https://zeitung.faz.net/faz/wirtschaft/2023-02-21/e396594487e87229ed3eecbdaf458a21

Hier kann und muss weitergedacht werden. Die privaten Personenbeförderungsunternehmen Mietwagen und Taxi gelten als wichtige Ergänzung zum Linienverkehr des ÖPNV. Nur wer ein attraktives Tür-zu-Tür-Angebot für die Menschen bereithält, wird mit der Zeit den Verzicht auf private Automobile in den Städten bewirken. Derzeit ist das Angebot von Mietwagen und Taxi leider nicht ideal.

Linienverkehr, wie U- und S-Bahnen, Tram und Linienbusse stellen zweifelsfrei das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs dar. Aber was ist zu tun, wenn der Weg zur nächsten Haltestelle zu beschwerlich ist? Die Tasche zu schwer? Der Regen zu heftig? Der Fahrgast zu müde oder gar zu „fröhlich“? Oder es zu Nachtzeiten gar keine Alternative gibt? Würden Sie der hoch schwangeren Mutter raten, mit dem Linienbus zur Entbindungsstation zu fahren oder dem hoch betagten Ehepaar empfehlen, die Goldene Hochzeit im Gasthaus mit einer U-Bahnfahrt zu beginnen?

Es ist und bleibt eine Illusion zu glauben, dass Menschen in Großstädten ihre liebgewonnene Mobilitätsfreiheit im privaten PKW aufgeben, wenn keine zuverlässigen, integrierten, jederzeit verfügbaren, leicht zu buchenden und relativ erschwinglichen Tür-zu-Tür-Verkehre angeboten werden. Die kommunalen Verkehrsunternehmen werden diese Aufgabe nicht wahrnehmen. Sie sind eingestellt auf Massenverkehr. Mietwagen und Taxis sind auf Individualverkehr geeicht. Die Aufgabe für Politik, Verwaltung und die Branche selbst besteht darin, das Angebot in erforderlichem Umfang zu ermöglichen.

Hier verweist gerade die Mietwagenbranche auf die vorhandene und leider nicht einsetzbare Kompetenz der Bedarfssteuerung durch Daten: Jeder Fahrtenvermittler (Uber, FreeNow, Bolt u.a.) verfügt über einen großen Schatz an Bewegungsdaten von Fahrgästen. Dieses Wissen kann heute problemlos in Antizipation (also in Vorausschau) umgemünzt werden. Auf diese Weise könnten Vermittler detaillierte Informationen an die Beförderer (Mietwagenunternehmen und deren FahrerInnen) leiten, wann und wo höhere und niedrigere Nachfrage erwartet wird.

Die anachronistische Rückkehrpflicht des § 49 Abs. 4 PBefG, die die Novellierung des Gesetzes im Jahre 2021 zum Entsetzen Vieler überlebt hat, steht dem im Wege. Unverändert muss der Mietwagen nach Ende eines Fahrtauftrages zum Betriebssitz zurückkehren und darf sich eben gerade nicht zu dem erwarteten Hotspot der Nachfrage bewegen.

Schöne ideale Welt ist technisch schon heute möglich

Das Personenbeförderungsgesetz bremst die Mobilitätswende aus. Nach einer erneuten Novellierung ohne Denkblockaden könnte die Verzahnung von Linienverkehr und Gelegenheitsverkehr erfolgen. Bürgerinnen und Bürger in den Städten hätten eine verlässliche Alternative beim Tür-zu-Tür-Verkehr zum privaten Auto. Die Steuerung des Angebots an Mietwagen übernehmen die Vermittlungsplattformen sogar ohne Mehrkosten in Zusammenarbeit mit den befördernden Mietwagenunternehmen. Jeder Fahrer und jede Fahrerin weiss, wann und wo es sich lohnt, verfügbar zu sein. Damit werden unproduktive Leerzeiten weitgehende vermieden, die Einkommen der Mitarbeiter steigen und die Nachfrager haben kurze Wartezeiten auf ihr Fahrzeug.

Selbst die Integration mit Linienverkehrsanbietern ist möglich. Diese können in Verbundtarifen für Zeiten der Betriebsruhe bestehen und sogar die Auslastungsinformation der Züge und Strassenbahnen umfassen. Auf diese Weise kann aus der Antriebswende eine wirkliche Mobilitätswende werden.

Deutschland kann Weltmarktführer werden

Unser Land verfügt über eine gute Infrastruktur an Strassen, Schienen und Verkehrsmitteln. Selbst wenn die aktuelle Diskussion über Investitionsstaus bei Schienen und Brücken gestritten wird, im Vergleich zu vielen anderen Ländern hat Deutschland sehr hohes Potenzial. Leider kann dieses Lob nicht die Effizienz der Nutzung der Verkehrsmittel angewendet umfassen.

Verkehr der Zukunft, verbunden mit effizienter Nutzung von PKW’s, bedarfsgesteuertem Angebot an Tür-zu-Tür-Verkehr und echter Integration von ÖPNV und privatem Verkehrsgewerbe kann erreicht werden. Die ECHTE Mobilitätswende ist möglich. Schaffen wir Denkblockaden und den Erhalt von Pfründen ab. Dann kann Deutschland zum Weltmarktführer im öffentlichen Verkehr werden.